Shining Therapy


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Handicaps als Besonderheit und close to- und in-body Technologien als Mittel zur Distinktion. 

Wie Körpererweiterungen als Vehikel der Diversität und Entstigmatisierung fungieren
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Der Umgang mit körperlicher Behinderung oder Krankheit hat sich vor allem auf medialer Ebene stark gewandelt: Paraolympioniken werden gefeiert, öffentliche Personen sprechen mutig über ihre Depressionen. Mit Hilfe neuer Produkte wird ein anderer Zugang zu solchen Thematiken geschaffen, der es Außenstehenden und Anwendenden ermöglicht offener zu kommunizieren. Das Handicap wird zum bewussten Statement. Körpererweiterungen als Zeichen der Bewältigung.

Shining Therapy vereint angleichende und erweiternde Körpererweiterungen die primär zu therapeutischen Zwecken genutzt werden. Sie entspringen der Medizintechnik und sind Menschen mit physischen Einschränkungen und Krankheiten vorbehalten. Diese kommen – in der Regel – auf Anraten von Ärzten zum Einsatz.

In dieser Kategorie sind besonders stark Prothesen vertreten, die vor allem einen rationalen formalästhetischen Ansatz haben (vgl. Rational Approach). Mit ihrer langen Entwicklungsgeschichte sind sie wohl das promineteste Beispiel, wenn es um Körpererweiterungen geht. So zum Beispiel Open Bionics. Ihren Claim „turning disabilites into superpowers“ nimmt das britische Unternehmen beim Wort. Denn die Designs ihrer Armprothesen sind angelehnt an die Kostüme bekannter Helden aus Comics und Filmen. Der Hero Arm, das Aushängeschild des Unternehmens, ist die erschwinglichste, individuell 3D-gedruckte, myoelektrische Prothese der Welt. Open Bionics hat sich mit seinem Produkt vor allem auf Kinder und Teenager spezialisiert, fertigt aber auch für Erwachsene an. Die Besonderheit an diesem Beispiel ist, dass Open Bionics durchaus versucht eine Brücke zu bereits etablierten Designs und Ästhetiken zu schaffen, um die Prothesen besser in den Alltag der Menschen zu integrieren und zur Imagebildung beizutragen (vgl. Etablished Approach).

Aber auch Orthesen oder andere neue wearable und invasive Technologien, die z.B. bestimmte Regionen stimulieren oder tracken werden zu Therapiezwecken vermehrt entwickelt. Ein Beispiel dafür ist das schwedische Unternehmen Flow Neuroscience, dass eine zeitgemäße Antwort auf Depressionen bietet. Mit Hilfe einer eigens entwickelten App und dem dazugehörigen Headset kann der Krankheitszustand verbessert werden. Das Wearable wird auf der Stirn und am Hinterkopf befestigt, stimuliert ausgewählte Gehirnregionen und fördert so Verhaltensänderungen bei Anwendern*innen. Flow beweist, dass dieser Kontext auch einen unkonventionellen gestalterischen Weg gehen kann und für neues Design und Ästhetiken Raum bietet, gerade weil das Produkt bislang einzigartig ist. (vgl. New Approach)

Die Betonung dieser Kategorie liegt auf dem Begriff Shining, denn die Körpererweiterungen werden hier nicht nur der medizinischen Notwendigkeit dienlich, sondern bieten ihren Anwendern*innen auch die Möglichkeit sich damit zu profilieren und ihre Andersartigkeit oder Normabweichung selbstbewusst zu zeigen. Dafür sprechen die zahlreichen Beispiele therapeutische Körpererweiterungen individuell zu gestalten oder modular zusammenzustellen (z.B. unyq.com). Obwohl viele dieser Hilfsmittel noch immer auf ein sichtbares gesundheitliches Defizit hinweisen, bieten einige Hilfsmittel durch ihre artifizielle Formgebung, Farbigkeit und Materialität, sowie ihre technischen Möglichkeiten, einen positiven Umgang mit der persönlichen Geschichte.

»Die Entstigmatisierung hat zum Glück schon begonnen seitdem viele Prothesenträger mit bionischen Prothesen herumlaufen oder diese sogar mit LED’s beleuchten, mit Glitzerfolie oder Knallfarben bekleben.«, so Abassia Rahmani, Parasprinterin Mitglied des Schweizer Paralympics Teams.

Sie minimieren damit bemitleidende Blicke und Entstigmatisieren Behinderung und Krankheit durch Neugier und Interesse der Außenwelt an den Körpertechnologien.

Das Inszenieren und Präsentieren mit therapeutischen Körpererweiterungen spielt sich vermehrt auf Social Media ab. Denn besonders dort haben Anwender*innen die Chance zu scheinen und von der Außenwelt in einem neuen Licht wahrgenommen zu werden. Durch ihre Ausstrahlung und ihren Mut gesellschaftliche Idealvorstellungen zu stürzen werden sie zu Testimonials der Brands deren Produkte sie nutzen. Und zu Botschaftern*innen ihrer körperlichen Behinderungen oder Krankheiten.

»Das öffentliche Zeigen normabweichender Körperbilder trägt zur Emanzipation der Gesellschaft bei und ist Vehikel für eine diversere Gesellschaft«, so Elle Nerdinger, Vorsitzende des Cyborgs e.V. Deutschland.

Diese Entwicklung hält auch in Werbekampagnen verschiedener Branchen Einzug. Und das neuerdings auch außerhalb des paralympischen Kontexts.6 Die neue mediale Darstellung von körperlicher Einschränkung und Krankheit ebnet den Weg für die Etablierung therapeutischer Körpererweiterungen als Objekte, die sich unaufdringlich in den Alltag einfügen.



Take Away

Therapietools müssen nicht mehr versteckt werden. Der Umgang mit Handicaps, Krankheiten und Verletzlichkeit wandelt sich und wird durch allgemein steigende Sensibilierung und Selbstwahrnehmung bestärkt.